Falscher Bekenner - Interview
Wie ist die Idee zu Falscher Bekenner entstanden?
Christoph Hochhäusler: Ein Film hat natürlich viele
Quellen. Nach Milchwald wollte ich einen Film machen, der intuitiver
ist, der direkter mit meiner Fantasie verbunden ist und gleichzeitig realer
wirkt, der schneller und witziger ist. Das Buch ist sehr intuitiv entstanden,
das soll heißen, ich bin traumartig einer Vorstellung gefolgt, ohne
zu wissen – oder wissen zu wollen –, wohin sie mich führen
würde. Das erste Bild war ein junger Mann zu Fuß auf der Autobahn,
wie ein Schatten. Die Frage war: Wer ist das? Davon ging alles aus.
Der Film ist dann in sehr kurzer Zeit entstanden, schnell geschrieben,
gedreht und geschnitten. Wichtig war mir vor allem, einen engeren Zusammenhang
von Neugier und Herstellung zu verwirklichen – in den üblichen
Produktionszyklen vergisst man unterwegs oft, was man ursprünglich
wollte. Das ganze Projekt ging leicht von der Hand, was ein befreiendes
Erlebnis war nach meinem eher langwierigen Erstling.
Nach Milchwald überrascht Falscher Bekenner mit seinem Humor,
mit fast komödiantischen Zügen.
Ja, das stimmt. Ich bin sicher jemand, der sich in der Arbeit durch Kontraste
erfrischen will. Ich weiß nicht, ob ich eine Komödie machen
könnte, aber in meinem Leben gibt es viel zu lachen, und ich wollte,
dass das auch im Film Platz hat.
In beiden Filmen geht es um Familie. Was interessiert Sie daran?
Einserseits hat mich meine Familie sehr geprägt, insofern spielen
gerade bei diesem Film biographische Motive eine Rolle, andererseits interessiert
mich Familie als Mikrogesellschaft. Das Interessante ist ja, daß man
sich seine Familie nicht aussuchen kann. Man ist in die eigene Familie ‚hineingeworfen‘ und
kämpft die unvermeidlichen Verteilungskämpfe. Eine Familie hat
also von vorneherein ein hohes dramatisches Potential, an das beinahe
jeder emotional anknüpfen kann, weil die Erfahrungen letztlich ähnlich
sind. In diesem Sinn ist mir diese Familie Steeb sehr vertraut. Ich bin
in München aufgewachsen, mit vier Geschwistern, zwei Brüdern
und zwei Schwestern. Ich bin die Nummer vier. Die Unterschiede zur Familie
Steeb sind zahllos, aber die Grundkonstellation ist vergleichbar.
Die Schwestern haben Sie eingespart?
(lacht) Kann man so sagen. Aber es geht ja nicht um meine Familie, sondern
um Erfahrungen, die ich mit Familie gemacht habe. Ein konservatives Mantra
ist ja, dass das Übel der Gegenwart mit der „disfunktionalen
Familie“ verknüpft sei. Die Patchworkfamilie, bei der man durch
die losen Nähte fällt, wird der heilen, ganzen Familie gegenüber
gestellt. Das halte ich für Unfug.
Die „funktionierende Familie“ früherer Zeiten ist eine
Erfindung. In jeder Gruppe von Menschen, in der die Macht und die Liebe
ungleich verteilt sind, gibt es Konflikte, gibt es Konkurrenz. Wie dieser
Kampf ausgetragen wird, ist dann eine Frage des Temperaments – und
der Möglichkeiten. Die Familie, selbst die netteste, ist immer auch
ein grausamer Ort. Ich wollte zeigen, dass es keine einfache Antwort gibt
für das „Versagen”. Warum passiert, was passiert? Im
Nebel des Möglichen schreibt sich jeder seine Geschichte selbst – die
eigene Hauptrolle inklusive.
Man hat den Eindruck, dass Armin sich nicht unbedingt gegen die Welt
stemmt, die ihn begrenzt.
Der Colt sitzt bei ihm nicht so locker, das stimmt. Aber es ist sehr
wohl so, dass er kämpft: um Anerkennung, um Sichtbarkeit. Letztlich
kreist der ganze Film um Sichtbarkeit. Armin will in der Welt vorkommen,
er will gesehen werden. Es stehen ihm nur nicht die Mittel zur Verfügung,
die seine Brüder in der Welt so erfolgreich machen. Er kann einfach
nicht wie sie funktionieren. Sein Vehikel ist das Bekennen von Schuld.
Und siehe da, es trägt ihm zum Ziel.
Ich empfinde sein Leben im übrigen gar nicht als so katastrophal.
So weit entfernt von Armin lebe ich zum Beispiel nicht. Man kann natürlich
finden, daß der Film eine Hölle beschreibt, aber das liegt
an der Perspektive, glaube ich. Das ist ja das Tolle am Kino, daß man
die Welt von Außen betrachten kann. Im Leben ist das schwierig.
Wir haben alle die Sehnsucht, in der großen Welterzählung vorzukommen,
und die Verknüpfung ist sehr oft fiktiv. Wir müssen an unsere
Wirkung glauben.
Was hat Sie an den Orten in Falscher Bekenner interessiert, dem Kontrast
zwischen der Vorstadtwelt und den verwilderten Welten am Rand der Autobahn?
Mich interessiert der Raum grundsätzlich sehr. Ich glaube, dass
er ein Element ist, den der Film gut als erzählerisches Mittel ausnutzen
kann. Ich beobachte im Alltag, dass sich psychische Zustände, Ängste,
Gefühle überhaupt sehr stark darin ausdrücken, wo sich
jemand hinstellt, in welchen Raum er geht, wie er sich zu dem Raum verhält.
Das versuche ich, in meine Filme einzubauen.
In Falscher Bekenner sind es die Nicht-Orte, wie die Autobahn,
die Autobahntoilette oder das Brachland, die Armin Raum geben. Da fühlt
er sich freier. Die Perspektive auf diese Orte lässt sich vielleicht
so beschreiben, dass da das neue Deutschland auf den alten Westen blickt.
Was da zu Tage kommt, ist porös geworden. Verblasste Errungenschaften,
die viel mit Infrastruktur zu tun haben. Das ist ja so faszinierend
an Westdeutschland. Dieses „unsichtbare“ Bauwerk, die Autobahn.
Man merkt sehr schnell, wenn man mal versucht, eine Autobahn zu fotografieren,
dass man sie kaum sieht, es sei denn, man benutzt sie. Fußgänger
sind im kreuzungsfreien Verkehr illegal. Man darf die Autobahn nur im
Raumanzug des Autos betreten, dessen Bewegung einem gleich eine sehr begrenzte
Perspektive aufzwingt. Armin verhält sich anders zu diesem Ort. Er
geht in dieser Welt zu Fuß und ist damit ganz allein, aber auch
frei.
Diese räumliche Situation ist auch einer der Hauptgründe, warum
wir in Mönchengladbach gedreht haben. Das Ruhrgebiet oder, besser
gesagt, der Niederrhein sind ja in dieser Beziehung der Wahnsinn, eine
Arterienkathedrale, ein unvollendetes, unvollendbares Riesenbauwerk. Im
Kontrast dazu steht die andere Welt, die einer gutbürgerlichen Kleinstadt,
in der das eigene Haus der Fokus ist: Diese immer noch lebendige, letzte
Utopie, dass man ein eigenes Haus braucht, um glücklich zu werden.
Im Film heißt es an einer Stelle, der Ort sei deshalb so attraktiv,
weil man ihn schnell verlassen könne..
Mich hat immer sehr fasziniert, dass die Terroristen der RAF ihre Stützpunkte
danach ausgesucht haben, ob man sie schnell verlassen kann. Insofern ist
das erweiterte Ruhrgebiet unbedingt terrortauglich. Da sind, so war mein
Gefühl, keine Orte um anzukommen. Man fährt eher durch eine
gleichförmige Welt, die das Ideal der Verkehrsplanung der 60er Jahre
geschafft hat, nämlich in wenigen Minuten die nächste Autobahn
zu erreichen. In Deutschland hat die Sehnsucht nach der Ferne ja schon
immer eine Rolle gespielt, nicht nur in der Romantik. Wir sind Reiseweltmeister!
Das Wegkommen ist ein großes Thema für die Deutschen, aber
es ist weniger eine Utope des Aufbruchs als ein Ventilieren von Frustration.
Man verreist, weil man erholt zurückkommen will.
Wie stark geben Sie im Drehbuch die Szenen und die Dialoge vor?
Einige Szenen waren im Drehbuch eher skizzenhaft angelegt. Es gibt einfach
Momente, in denen die Situation intelligenter ist als der Autor. Das betrifft
vor allem Gruppenszenen, bei denen im Spiel eine Dynamik entsteht, die
man vorausahnen kann, aber nicht im Detail festlegen muss. Im Großen
und Ganzen ist der Film aber so gedreht, wie er geschrieben und visuell
geplant war. Das wäre in der knappen Drehzeit von 20 Tagen anders
nur schwer machbar gewesen. Trotzdem gibt es vieles, was die Schauspieler
eingebracht haben. Ich bin kein Regisseur, der sein Drehbuch Wort für
Wort umsetzen will. Ich freue mich, wenn ein Darsteller sich einen Satz
einverleibt und ihn so sagt, wie er selbst ihn sagen würde. Man muss
ja mit den Erfahrungen seiner Schauspieler und seiner Mitarbeiter arbeiten,
sonst führt das zu einer fürchterlichen Sklaverei. Ich hatte
da viel Glück. Die Arbeit hat sehr viel Spaß gemacht.
Was die Schauspielführung betrifft, so habe ich nach zwei Filmen
noch keine Methode entwickelt. Vielleicht werde ich es auch nie. Ich benütze
alles, was mir einfällt. Jeder Schauspieler braucht etwas anderes.
Ganz allgemein ist meine Regie aber eher „kalt”, will heißen, äußerlich.
Es geht in meinen Korrekturen meistens um Gesten, Positionen, Stimmlagen.
Es gibt kein Schreien, kein Drohen, kein Flehen.
Sie haben zum ersten Mal mit einer High-Definition Kamera gedreht,
dazu in Cinemascope. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?
Ich wollte etwas anderes machen als in Milchwald. Der Film sollte,
wie eingangs erwähnt, realer, schneller, witziger sein. Entsprechend
ist er anders fotografiert, beweglicher, weniger statisch. HD bringt,
wie jedes Werkzeug, eine bestimmte Eigenart ein. Der Kontrastumfang ist
begrenzt, gerade mit hellem Tageslicht kann die Kamera nicht viel anfangen.
Im Grau dagegen lässt sich sehr differenziert arbeiten. Das kam uns
entgegen.
Daneben ist Videoband geduldiger als Film, der in Rollengrößen à 10
Minuten konfektioniert wird. Für lange Szenen ist das ein Vorteil,
weil man sie ohne die Unterbrechung des Nachladens durchspielen oder nach
Korrekturen wiederholen kann. Insgesamt war die Arbeit mit der High Definition-Kamera
eine überraschend positive Erfahrung. Und die Zusammenarbeit mit
dem Kameramann Bernhard Keller war begeisternd.
Für Cinemascope haben wir uns entschieden, weil sich einerseits
die klaustrophobische Stimmung mit dem Kontrast dieses Formats gut erzählen
lässt; andererseits, weil dieses Format ein Schauwert an sich ist:
Der Blick kann von links nach rechts schweifen, muss sich bewegen – und
ist dem Kino also näher als der Kiste.
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